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Vernissage Waltraut Hilbert, Sommerevent der BOT, Heidelberg, 14.6.2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Ihnen heute die Bildwelten von Waltraut Hilbert vorstellen zu dürfen, die die Künstlerin in den Räumen der BOT präsentiert. Die Werke stammen aus den letzten Jahren und stellen einen Ausschnitt aus dem reichen Schaffen der Malerin vor. Schon auf den ersten Blick bietet sich dem Auge die Bandbreite des künstlerischen Ansatzes dar. Streng geometrisch formulierte Kompositionen stehen neben malerisch erschlossenen Tiefenräumen, die landschaftliche Assoziationen wecken und hin und wieder vegetabile, organische Sujets aufrufen. Die Malerin hat ihre Ausbildung an freien Kunstakademien erhalten und sich in intensivem Austausch mit Künstlerpersönlichkeiten weiterentwickelt. Seit 1994 arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in ihrem Atelier mit angeschlossener Galerie in Heidelberg.

Seit etwa zwanzig Jahren ist sie in der Abstraktion beheimatet. Das bedeutet nicht etwa, daß sie den Gegenstand aus ihren Arbeiten verbannt hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Anmutungen der Wirklichkeit, die wir ja stets gegenständlich wahrnehmen, wandern in ihre Kompositionen ein. Aber diese sind nicht dem Seheindruck verpflichtet, sondern bilden vielmehr seine Essenz, eine ferne Erinnerung an Konstellationen, die uns vertraut erscheinen. Horizonte scheinen auf und rufen landschaftliche Formationen ins Gedächtnis, Farben bezeichnen Erdhaftes oder die Sphäre des Himmels. Dabei geht die Malerin intuitiv vor. Der Malgrund, mit dem eine Leinwand im ersten Arbeitsschritt erschlossen wird, offenbart sich als Inspirationsquelle für weitere Arbeitsschritte. Erste Strukturen bilden sich bereits hier heraus und werden in der Folge malerisch ausgedeutet oder verworfen. Die künstlerische Entscheidung begleitet jeden dieser Schritte. Ein Wirklichkeitsbezug stellt sich oft erst im Nachhinein ein und geht in den Titel des jeweiligen Werkes ein. Die inhaltliche Spannung, die aus diesem Vorgehen resultiert, zeigt sich auch auf gestalterischer Ebene. Waltraut Hilbert komponiert ihr Werk aus der Farbe heraus. Ihr sicheres Gespür für das stimmige Zusammenspiel kraftvoller Buntfarben ermöglicht ihr einen souveränen Einsatz der gesamten Palette innerhalb einer Komposition. Die Bezugnahmen der Farben aufeinander sind wohlüberlegt und fein austariert. Doch wieder ergibt sich dies aus der künstlerischen Intuition heraus, zu der eine langjährige Erfahrung im Umgang mit dem Material hinzutritt. Waltraut Hilbert verwendet ausschließlich Acrylfarben, die sie in zahllosen Nuancen abmischt. Das Resultat sind gebrochene und pastellige Farbtöne, die sich zu Farbakkorden zusammenfinden. Acrylfarbe trocknet sehr viel schneller als die traditionelle Ölfarbe und so läßt sich das Ergebnis eines jeden Arbeitsschrittes zeitnah erleben. Allerdings lassen sich nachträglich Korrekturen nur durch Übermalen erzielen, nicht durch ein Weitermalen der noch feuchten Farbe. Dieses Vorgehen wird in den hier gezeigten Arbeiten zur gestalterischen Strategie und deutet dann keineswegs eine Bildkorrektur an. Die Strategie scheint sowohl in den geometrisch-abstrakt formulierten Arbeiten auf als auch in denjenigen, die an Dinghaftes erinnern. Beispiele für beide künstlerische Ansätze finden Sie hier in unmittelbarer Nähe gehängt. Die großformatigen geometrischen Werke sind aus rechtwinkligen Farbformen aufgebaut. Sie werden in vertikalen Lagen übereinander plaziert oder als tektonische Elemente in verschiedener Ausrichtung kombiniert, sie erscheinen liegend oder stehend oder bilden ein Streifenmuster aus. Die dünn mit Weiß übermalten Partien wie in der „Symphonie Nr.IV“ verlieren unversehens ihre Buntfarbigkeit, doch bleibt die Struktur erhalten, die die Farbe im Auftrag mit dem Pinsel ausbildet. Sogleich treten die so unterschiedlich gestalteten Streifen in unserer Wahrnehmung räumlich auseinander in ein Davor und Dahinter. Durch die Übermalung wird eine Raumtiefe erschlossen, die die Wirkung des Bildes maßgeblich bestimmt und sein eigentliches Thema darstellt.

Innerhalb der Aufgabenstellung der Bilddefinitiondurch geometrische Farbformen setzt die Künstlerin neben Farbelementen, die die gesamte Breite oder Höhe eines Bildes füllen, auch Teilmengen dieser großen Formen ein. Diese Grundelemente fungieren dann als Module eines Baukastensystems, die miteinander in einen Zusammenhang gebracht werden, der an den Spielregeln einer orthogonalen Ausrichtung orientiert ist. Die Gestalt der großen Formen wird in den kleinformatigen wiederholt, das Bild bezieht daraus seine innere Logik. Es ereignet sich jedoch sehr viel mehr. Die Taktung der Formen erzeugt einen lebendigen Rhythmus, der von der Farbgebung unterstützt und ebenfalls hervorgebracht wird. Er dehnt sich sogar in die dritte Dimension, in den Raum hinein aus. Wir nehmen Farben stets in unterschiedlicher Ausdehnung wahr. Rot ist im menschlichen Erleben eine stark expandierende Farbe, Blau dagegen tritt in den virtuellen Bildraum zurück. Die Künstlerin nutzt diesen physiologischen Effekt des menschlichen Farbsehens, indem sie die Module in voneinander abweichenden Farbtönen gestaltet. So treten diese in dem formal streng definierten Bildaufbau scheinbar vor oder hinter die Bildfläche und erzeugen ein Vibrieren, das wir als Schweben wahrnehmen. Das starre Korsett der selbstauferlegten gestalterischen Aufgabe wird somit durch eine gegenläufige Maßnahme aufgehoben. Waltraut Hilbert verzichtet jedoch zumeist auf harte Kontraste. Sie bindet die verwendeten Farben in toniger Abstimmung zusammen. Nur hier und da treffen Farben unvermischt aufeinander und bringen einen besonders starkes Vibrato hervor. Die Künstlerin unterstützt auch diese Ereignisse, indem sie den Farbfeldern feine andersfarbige Konturen verleiht - das Vibrieren verstärkt sich. In anderen Partien legt sie halbtransparente Farbrechtecke über farbige Bänder. Diese verändern darunter ihre Erscheinung und bleiben dennoch Teil des Beziehungsgeflechts. In anderen Arbeiten werden ausschließlich horizontale Farbformen geschichtet, sie lassen uns sofort an Landschaft denken. Und tatsächlich forciert die Malerin diese Illusion, indem sie den sandfarbenen und blauen Farbbändern kleine aufrechte Strichelungen hinzufügt. Die Assoziation mit Gräsern, die sich im Wasser spiegeln, ist fast unvermeidlich. Werden wir in diesen Bildbereichen sehr nah an eine Abbildhaftigkeit herangeführt, so wird uns dieses sicher geglaubte Terrain in anderen Partien sogleich wieder entzogen. Dort werden abstrakte Punkte Ton in Ton in eine Horizontallage gesetzt. Am oberen Bildrand jedoch stellen sich wieder gegenständliche Anmutungen ein – ein malerisch erschlossenes Blau scheint auf Himmel zu verweisen. Die Künstlerin spielt mit unserer Bildwahrnehmung, die sich immer am Gegenstand orientieren möchte. Sie hinterfragt unsere Sehgewohnheiten auf heitere Weise.

In anderen Arbeiten wie dem „Abstrakten Seestück“, verbleibt die gestalterische Ausdeutung im Rahmen eines Wirklichkeitsbezuges, auch wenn sich dieser nur punktuell fassen läßt. Wieder ist ein malerisch nuanciert erschlossener Grund Ausgangspunkt der künstlerischen Überlegungen. In zahlreichen Blautönen scheinen sich Himmel und Wasser im Bild miteinander zu einem fließenden Element zu verbinden. Die aufgesetzten kleinteiligen Farbformen bieten dem Auge Halt. Sie suggerieren auf einer Wasseroberfläche treibende Blätter oder Blüten. Nicht ohne Augenzwinkern spielt die Malerin hier auf die berühmten Seerosenbilder von Claude Monet an, der mit diesem Motiv um das Jahr 1900 die Kunst revolutionierte. Kaum als Dingformen zu erkennen, leiten diese Bildelemente über zu einem reinen Spiel von Farben und Formen, das sich unabhängig vom Gegenständlichen entfaltet. Die Abstraktion war geboren. Diese Bildsprache ist auch den Arbeiten von Waltraut Hilbert zu eigen. Wieder ist der Rhythmus des Bildes aus der Verteilung und Anordnung von Farbformen heraus erzeugt. Die Komposition erstreckt sich in diesem Fall über zwei Leinwände hinweg. Dieser Kunstgriff tritt in anderen Arbeiten (hinten im Flur) als rhythmische Vorgabe zutage, die die Präsenz der bildlichen Elemente betont und ihnen zugleich entgegengestellt ist. Nun ist eine schmale, hochformatige Leinwand einer breiteren zur Seite gestellt. Ein weißes Rechteck ist über ein dynamisches Bildgeschehen gelegt, das sich in gestisch aufgetragenen Buntfarben manifestiert. Dieses Rechteck ist durch den Spalt zwischen den Leinwänden geteilt und behauptet sich doch mit Macht als strenge geometrische Formulierung, deren Teile zwingend zusammengehören. Wir können nicht anders, als diese für unser Auge unwillkommene Unterbrechung zu überbrücken. Dennoch bleibt die optische Teilung bestehen und nötigt uns, sie in einer immer wiederkehrenden Eigenleistung zu negieren. Die Künstlerin nimmt uns, die Betrachter, unversehens in das Bildgeschehen hinein, macht uns zu Akteuren. Wir sind Beteiligte, nicht nur Zuschauer.

Andere Bilder scheinen einen Ausschnitt darzustellen aus einem größeren Kontinuum, das sich im Bild andeutet, aber nicht ausgeführt ist. Auch jetzt sind die Bildräume wieder durch ein Verschränken von rechtwinkligen Farbflächen erschlossen wie in „Rätselhaftes“. Darüber sind große Bogenlinien gelegt, deren Anfang und Ende außerhalb des Bildfeldes gedacht werden kann. Ein markantes schwarzes Band bildet das Hauptmotiv, es krümmt sich und ist teilweise hinter farbigen Flächen verborgen. Die Elemente drängen sich innerhalb der Dimensionen des Gemäldes, aber das Anschneiden der Linien weist über den Bezugsrahmen Bildgeviert hinaus. Die großen Rhythmen, die sie thematisieren, fordern dazu auf, sie weiterzudenken und außerhalb des Bildes zu vervollständigen. In diesem Gemälde setzt Waltraut Hilbert eine weitere Technik ein, die ihr zusätzliche gestalterische Möglichkeiten eröffnet. In die farbigen Flächen sind ausgeschnittene Papierfragmente integriert, die offensichtlich aus Zeitschriften entnommen wurden. Sie bringen einen eigenen Gehalt in die Komposition ein. Durch ihre Zerstückelung ist das Abgebildete nicht mehr eindeutig zu benennen, aber ihr reiches, buntfarbiges Formenspiel wird so in die gemalten Partien hineingenommen und durch halbtransparentes Übermalen mit ihnen verschmolzen. Wieder tritt die Abbildhaftigkeit zugunsten der Freude an abstrakter Form und Farbe zurück. Die rechtwinkligen Farbelemente werden in ihrem Flächencharakter aufgelöst, innerhalb der strengen Form darf sich Lebendiges, Ungerichtetes entfalten. Diese Strategie findet sich auch in einigen anderen der hier gezeigten Werke. Sie geraten gar zu Landschaften, in die Häuser, gigantische Blumen und fliegende Wesen – Vögel oder übergroße Insekten – eingesetzt sind, durchweg Ausschnitte aus Zeitschriften, die in die Kompositionen hineincollagiert werden. Nun nutzt die Malerin den wirklichkeitsabbildenden Inhalt der Papierschnipsel und gesteht der sichtbaren Realität einen größeren Spielraum zu. Allerdings ist auch hier der Bezug zur bekannten Dingwelt ein offener. Dimensionen von Häusern und pflanzlichen Formen werden miteinander nicht nach den Regeln unserer Realität gestaltet, sondern frei gewählt. Heiterkeit und spielerische Unbeschwertheit spricht aus diesen Bildern, wieder dient das Abbild nur als Inspirationsquelle, als Spannungspol, gegen den sich die abstrakten Kompositionen in ihrer eigenen Bildwirklichkeit behaupten.

Sie sind verwandt mit einer Reihe von gemalten Arbeiten, in deren Zentrum stets eine konzentrierte Ansammlung farbiger Formen angesiedelt ist. Auch sie scheinen entfernt mit Dingformen verwandt zu sein, doch läßt sich die Künstlerin lediglich von deren formaler Gestalt und reichen Farbgebung anregen. Vergeblich versuchen wir, den gegenständlichen Bezug herzustellen. Die Farbformen sprechen für sich, sie verweisen auf nichts außerhalb ihrer selbst. Auch hier gelingt es Waltraut Hilbert, das Bild durch die Anordnung seiner Elemente in ein dynamisches Geschehen zu verwandeln. Das Bildzentrum mit seiner Formenvielfalt wird umlagert von gestisch aufgebrachten Farbbahnen. Sie können durch den Einsatz kammartiger Werkzeuge noch einmal mit Strukturen versehen sein. Sie heben die Bildmitte hervor und umkreisen sie. In dieser Gestaltung zeigt sich eine weitere Spielart abstrakter Formulierung. Gestisch aufgetragene Farbe läßt den Schwung des Pinsels und somit die Geschwindigkeit erkennen, mit der die Künstlerinden Malakt vollzieht. Nicht nur die Farbigkeit selbst prägt das Bild, auch die Dynamik des Malens selbst wird zum sichtbaren Ausdruck des Schaffens. Davon legt das Bild Zeugnis ab. Alle gestalterischen Möglichkeiten werden ausgeschöpft. Farbe steht pastos auf dem Bildträger oder fließt hinunter und hinterläßt filigrane Spuren. Sie wird auf der Leinwand, im Moment des Malens, durch weiße Setzungen ergänzt und flankiert oder aber fein vertrieben. Wolkige Farbräume sind das Resultat. Durch Ritzungen gibt sich das farbige Darunter zu erkennen. Halbtransparente Übermalungen verbergen ganze Bildbereiche und beziehen sie dennoch in die Gesamterscheinung ein.

Gestische Vorgehensweisen treten in anderen Variationen dieser Bildserie zurück. Mehrere schmale Hochformate, im hinteren Flurbereich gehängt, verweisen uns wiederum auf Landschaft. Auch dort sind kleinteilige Farbformen im Bildzentrum angeordnet, wir vermeinen, Architekturen oder vegetabile Elemente aus der Ferne zu sehen, die in Bodenhorizonte eingebettet sind. Diese Assoziation wird durch die Verteilung der Farben unterstützt, Brauntöne im unteren und mittleren Bereich, in der oberen Bildzone übergehend in Blautöne – wir sehen darin Erde und Himmel. Vertikale Strichelungen rufen Pflanzliches auf. Die Titelgebung „Abstrakte Landschaft“ bestätigt unsere Vermutung. Und doch ist das eigentliche Thema auch hier die Abkehr vom Abbild und die Wendung hin zum gestalterischen Gehalt von Linien, Farben und Formen, der Selbstzweck ist.

Waltraut Hilbert bringt in ihren Werken einen lichthaltigen farbigen Kosmos hervor, der von innen her zu leuchten scheint. Die Zusammenstellung der Farben stellt eine Herausforderung an die Künstlerin dar, denn Buntfarbigkeit birgt das malerische Risiko, die Kompositionen zu sprengen. Das dies nicht geschieht, verdankt sich der subtilen Lenkung des Geschehens durch eine künstlerisch und handwerklich erfahrene Malerin.

Dr. des. Maria Lucia Weigel, Kunsthistorikerin, Heidelberg



Rede zur Vernissage in den Räumen der Merck Finck & Co, Privatbankiers Dependance Heidelberg 03. Dezember 2009

Es ist mir eine große Freude, Ihnen hier mitten im „Rausch der Farbe“ einen kleinen, aber dennoch hoffentlich intensiven Einstieg in das Werk von Waltraut Hilbert zu ermöglichen.
Aber geht das überhaupt? Kann man mittels Sprache bildnerische Gestaltungen erschließen?
Ich möchte in diesem Zusammenhang aus einem kürzlich publizierten Beitrag des Kunsthistorikers Klaus Honnef zitieren, der sich der spannenden Frage stellt, ob man Kunst überhaupt verstehen könne. So schreibt er u.a.:

„Die Kunst (…) entzieht sich hartnäckig dem Verständnis. Das quält die meisten Menschen. Vor allem, weil sie ohnehin kaum noch etwas in ihrem Leben verstehen. (…) Infolgedessen läuft eine wachsende Anzahl von Besuchern in Kunstausstellungen mit einem Knopf im Ohr herum. Sie lassen sich erzählen, was sie sehen. Vielleicht verstehen sie das Gesagte. Allerdings schweifen ihre Blicke verdächtig oft vom Objekt des Verstehens ab, an die Decke, auf Mitbesucher.
(…) Ist es (…) nicht das hervorstechendste Kennzeichen der Kunst, dass die Bedeutung ihrer Werke vielfältig ist? Dass sie sich nie ganz erschließen lassen? (…) Ist diese irritierende Erfahrung, dass Kunstwerke sich dem definitiven Verstehen letztlich entziehen, nicht zugleich die wunderbarste Erkenntnis, die Kunst vermittelt? Welche Freiheit!
(…) Ist es (…) nicht das hervorstechendste Kennzeichen der Kunst, dass die Bedeutung ihrer Werke vielfältig ist? Dass sie sich nie ganz erschließen lassen? (…) Ist diese irritierende Erfahrung, dass Kunstwerke sich dem definitiven Verstehen letztlich entziehen, nicht zugleich die wunderbarste Erkenntnis, die Kunst vermittelt? Welche Freiheit!“

(Klaus Honnef, Produktive Unsicherheit, in: Kunstzeitung 11/2009)

Im Sinne dieser Worte hoffe ich, dass ich mit meinen „Anleitungen zum Sehen“ Ihre Freude an diesen Werken steigern kann und Sie mit meinen Erklärungen noch tiefer in das Geschaute eindringen können.

Bei den Vorbereitungen zu dieser Ausstellung verwahrte sich Waltraut Hilbert dagegen, als Künstlerin bezeichnet zu werden. Malerin sei sie – Künstler würden sich schon so viele nennen. Das erinnerte mich an ein wunderschönes Zitat von Karl Otto Götz, der in einem Interview zu seinen informellen Bildern auf die Frage, ob denn dies denn noch Kunst sei, nach eine kurzen Pause antwortete: „Kunst wohl weniger, sondern eher Beschäftigung mit Malerei.“

Beschäftigung mit Malerei, schon lange – bereits vierzig Jahre - geht Hilbert dieser Berufung nach. Anfangs war die Kunst sicherlich ein wichtiger Ausgleich zu ihrer 25jährigen erfolgreichen Arbeit als Verlegerin. In dieser Zeit war sie für die künstlerische und grafische Ausstattungen sämtlicher Verlagsveröffentlichungen zuständig. Auch hier war ihr unumstößliches Gespür für Gestaltung leitend, doch nur in der freien Kunst konnte sie dann ganz sie selbst sein. Und seit 1994 kann Sie sich allein dieser Lebensaufgabe widmen – ihr Atelier befindet sich hier in unmittelbarer Nachbarschaft.

Das Malen ist ihr innerstes Drängen. Dass sie sich all die Jahrzehnte so intensiv der Kunst widmen konnte, war und ist sicherlich auch ihrem Mann, Herrn Dr. Klaus Dieter Hilbert, zu verdanken. Mit konstruktiver Kritik, immer ermutigend und unterstützend, begleitet er sie in ihrem inneren Auftrag. Voller Stolz konnte er dabei in den letzten zehn Jahren ihre wachsende Popularität beobachten, die sich in zahlreichen Ausstellungen und Ankäufen – u.a. für zwei Hotels des Europapark Rust – zeigte. Dieser Erfolg setzte deshalb so spät ein, weil sich Waltraut Hilbert erst lange nicht dazu entschließen konnte, eine breitere Öffentlichkeit an ihrem Wirken teilhaben zu lassen.

Wollen Sie mehr über diese Künstlerin erfahren? Dann blicken Sie auf diese gewaltige Komposition hinter mir, die treffend „Meine Welt“ (Nr. 41) betitelt ist. Gigantisch werden hier die Tore aufgerissen: Farbe überwältigt uns – und auch wenn hier die Bewegung zurückgenommen scheint, so wird sie im unteren Bereich doch ganz dezidiert angesprochen. Leuchtende Farbstreifen verstärken einander, versuchen sich zu übertrumpfen, um schließlich alle als Sieger hervorzugehen. Ein autobiografisches Eingeständnis an die Macht der Farbe.

Hilberts Werke sind sehr unterschiedlich. Wenn Sie hier durch die einzelnen Räume flanieren, werden Sie vielleicht im ersten Moment vermuten, in einer Gruppenausstellung zu sein. Die hier vorhandene räumliche Situation hat Waltraut Hilbert eine attraktive Lösung für die Präsentation ihres Schaffens eröffnet. War es in den früheren Ausstellungen in durchgehend großen Räumlichkeiten manchmal schwierig, Gruppen zu konzentrieren und die Sprünge verschiedener stilistischer Ansätze nicht zu abrupt wirken zu lassen, konnte sie hier mit den einzelnen Winkeln Oasen der Konzentration schaffen. Aber wie gesagt: machen Sie sich bewusst: all das, was Sie hier zu sehen bekommen, ist aus dem Pinsel einer Künstlerin geflossen.

Warum diese Stilmannigfaltigkeit? Eine Antwort gab Waltraut Hilbert selbst: wenn ihr nicht ständig was Neues einfiele, dann hätte sie schon längst aufgehört zu malen. Man kann dankbar darum sein, dass ihr immer wieder etwas Neues einfällt! Und dabei experimentiert sie nicht nur mit unterschiedlichen Materialien, sondern lässt sich thematisch auch nicht einengen. Einander ebenbürtig stehen Abstraktes und Erzählerisches nebeneinander.

Besonders anschaulich lässt sich die gleichberechtigte Existenz detaillierter, naturnaher Auffassung und eher gegenstandsloser Gestaltung an zwei Blumenbildern nachvollziehen. In dem Seerosenbild (im Nebenraum / Nr.38) heben sich die noch geschlossenen Knospen und die beiden in voller Blüte stehende Seerosenblüten in wunderschönen violetten Tönen mit voller Plastizität von den lichtdurchfluteten atmosphärischen Grün- und Hellblaunuancen ab. Anders der „Blütenzauber“ (Nr.42): keine naturalistische Erzählfreude, sondern teppichhafte all-over-structure. Blüte reiht sich an Blüte, jeweils in sich konzentrierte wirbelmäßige Körper – einfach eine duftige Gesamtschau. Nichts will dominieren, jedes lebt durch und mit dem was ihn umgibt.

Hilberts Abstraktionen zeigen immer wieder neue Möglichkeiten der Farb-Zwiesprache. Da sind z.B. Kompositionen, in denen grafische Zeichen eingeritzt scheinen, mal geometrische Rhythmik betonend, mal regelrecht ornamentales Muster, mal an Schriftzeichen erinnernd – und immer vor allem eines leistend: das Licht wieder aus dem Hintergrund durchbrechen zu lassen. Farbe wird weggenommen, um die belassene umso intensiver wirken zu lassen.

Oder die kleinen witzigen Kompositionen am Ende des Ganges (Nr. 17-21 z.B.). Als ich beim Durchgehen der Räume meinte, dass mich diese an die späten Kandinskys seiner Pariser Jahre erinnern – entgegnete Waltraut Hilbert darauf nur lachend: Nein, das seien eher „späte Hilberts“.

Als weiteres Beispiel möchte ich die wunderschöne Abstrakte Komposition (1. Raum rechts – Nr.47) von 2007 in auffallendem Hochformat hervorheben. Hier kann man erleben, dass Rosatöne in der Malerei eine durchaus spannende und faszinierende Rolle spielen können. Falls Sie es gerade genauer betrachten können: sehen Sie wie viele verschiedene Orangetöne und Rosatöne sich hier vor dem changierenden intensiven Blau behaupten? Variationen, die die beste Farbreproduktion nicht einfangen kann.

Orange und Rosa geht das überhaupt? Bei Hilbert schon – denn sie versteht es (und das hat mich schon immer vor ihren farbintensiven Gestaltungen staunend innehalten lassen), Farbdissonanzen mittels zauberhaften Überleitungen, kleinen choreografischen Einsprengseln zu einer allumfassenden Harmonie aufzubauen. Farbenkosmos ist wohl die einzig treffende Bezeichnung solch kleiner Wunder.

Gegenständliche Assoziationen tauchen gelegentlich auf, waren aber meist nicht geplant. Wenn die Künstlerin selbst manchmal Schiffe, Figuren, Wege o.a. sieht, dann ist sie meist selbst überrascht, da dies nicht beabsichtigt war. Vor der Leinwand stehend gibt sie sich der Farbe, der Rhythmik des Pinselduktus hin, tritt in den Dialog mit dem was entsteht. Nicht wissend, wohin letztlich dieses Zwiegespräch führt. Es gibt dabei keine einheitliche Leserichtung, keine „richtige“ Interpretation. Wenn Sie also im Gespräch feststellen, dass Sie unterschiedliches erkennen, dann ist das wunderbar! Lassen Sie sich von ihrer Phantasie leiten – denn die Bedeutungsvielfalt der Kunst macht sie gerade so bereichernd.

Landschaften sind ein weiteres großes Thema Waltraut Hilberts. Hierbei entstehen Bilder mit einer enormen Tiefe. Vom farblichen Hintergrund ausgehend, baut sie behutsam die Kompositionen auf, verdichtet sie. Dabei zwingt nicht die Malerin etwas der Leinwand auf, sondern die Dinge wachsen, verändern sich. Strukturen werden gebildet und wieder gelöst. Und gelegentlich werden diese Kompositionen mit kleinen Elementen „bevölkert“.

Solche „Landschaften“ können Sie an vielen Stellen vorfinden. Da sind z.B. die beiden schmalen Werke „Abstrakte südliche Landschaft“ (im Gang auf der linken Seite - Nr.30/31), die manche vielleicht an die Welt des Hochgebirges erinnern mögen. Die webteppichähnliche Schichtung der einzelnen Farbeinheiten erinnert an Paul Cézannes Malweise und schafft – trotz der Transparenz – eine verdichtete Struktur. Das Querformat erinnert dabei an einen weit schweifenden Panoramablick und verleiht damit den beiden doch eher kleineren Arbeiten eine innere monumentale Größe.

Oder die schmalen Hochformate der Abstrakten Landschaften (im Gang bei der Garderobe Nr. 7-10), von denen es fünf Variationen gibt. Angeregt von der Schönheit eines Landschaftsachats, was man am ehesten in der zweiten Variation ausmachen kann, wechseln nuancenreiche Farbabstufungen, teils durch feine Binnenzeichnungen in einzelne Segmente getrennt. Die Horizontlinie liegt ungefähr mittig, unterhalb könnte man tiefes Meer oder sumpfiges Grasland vermuten, das sich vor uns ausbreitet. Oberhalb ergießt sich mal ein gläserner Himmel, mal – ebenso hingehaucht wirkend – ein Bergmassiv in weiter Ferne. Am Horizont tummeln sich eigentümliche farbige Einzeller, scheinen wie in Gruppen beieinander zu stehen oder sich der kleinen „Sonne“ (ein farbiger Kreis umgeben von einem Lichthof) zuzuwenden.

In dem kleinen Raum gleich links empfängt sie eine Abstrakte Portugiesische Landschaft (Nr.36). Vor einem dunklen Sternenhimmel scheint sich - Stein auf Stein - eine undurchdringliche Mauer aufzutürmen. Das tiefe Blau bringt diese Steine zum Leuchten – insbesondere die silbernen Partien, die wie ans Ufer gespülte Schätze sich vor uns ausbreiten.

Auch Märchenwälder (Nr. 23/24 – im Gang) begegnen uns. Zwei in Rot-Violett dominierte Kompositionen locken uns in den imaginären Raum. Und das meine ich wirklich so. Achten Sie auf die birkenähnlichen Linien. Wie eine Allee schaffen sie einen unweigerlichen Tiefensog. Dabei erhält die eine Variation eher einen vertikalen Rhythmus, da sich in der linken Bildhälfte Linien wie vom Wind zur Seite gebogen der Mitte zuneigen. Die andere wirkt mit dem horizontalen Linienmuster beruhigter, stiller. Das ist kein Ort von Schauermärchen, sondern von Zauberwäldern, in denen alles möglich scheint.

Sie finden auch eine schöne zweiteilige Komposition: „Im Fluss…“ (Nr. 48- 1. Raum rechts) ist das Diptychon betitelt und die Punkte im Titel verweisen vielleicht darauf, dass hier noch vieles im Werden ist. Hier werden kleine Rechtecke zu Bildern im Bild. Auf den hellen Flächen sieht man in sich konzentrierte Farbbewegung, während diese kleinen Kompositionen selbst von einem tiefen, mehrdimensionalen Farbraum umgeben sind.

Alles anzusprechen wäre ein Ding der Unmöglichkeit, außerdem möchte ich Sie ja eher zur eigenen Entdeckungsreise animieren – sehen, erleben Sie selbst.

Abschließend soll noch das Werk zur Sprache kommen, dass Ihnen von der Einladung bekannt sein dürfte: „Dynamik III“(Nr.2 - im Konferenzraum). Den „Geschwistern“, weiteren dynamischen Variationen, begegnen Sie an gleicher Stelle. Wild strudelnde Bewegungen, wasserfallmäßiges Ergießen von Farben und mittendrin, wie mitgerissen von den großen Kräften, „Farbkonfettis“. Bitte verzeihen Sie diese etwas prosaische Umschreibung, aber mir fiel bei den neueren Werken auf, dass da immer wieder diese kleinen mosaikhaften Farbschnipsel auftauchen – die sich in ihrer Klarheit gegenüber den großen Flächen ohne Probleme behaupten können.

Dynamik das ist vielleicht neben den intensiven Farbgestaltungen das zweite Standbein in Waltraut Hilberts Schaffen. Eine Dynamik, die ihrer Persönlichkeit entspricht, die sich von allen Widrigkeiten des Lebens und des Alters nicht unterkriegen lässt. Panta rhei – alles fließt. Stillstand kann es eben nicht geben, denn das würde bedeuten, das Leben, das fortwährende Kommen und Gehen zu ignorieren. Ein Intensität, die einem manchmal den Atem verschlägt. Powerful – so der Titel einiger anderer Werke – so ist wohl die treffende Bezeichnung dieser „Königin der Farben“. Ihre Kunst wirbelt auf, unsere Gedanken und unsere Gefühle – reißt mit sich. Lassen Sie sich von dieser Kraft, dieser Energie anstecken und nehmen Sie davon genügend in ihrem Herzen, in ihrer Seele mit nach Hause.

Dr. Andrea Schmidt-Niemeyer, Kunsthistorikerin Freie Mitarbeiterin der Kunstvermittlung, Städtische Kunsthalle Mannheim



Prof. Dr. Georg Peez über Waltraut Hilbert

Die Ursprünge der Kunst von Waltraut Hilbert liegen in der Wechselbeziehung zwischen Innen und Außen. Stimmungen und eine positive Grundhaltung treffen in Waltraut Hilberts Gemälden auf die Faszination über die Farb- und Formvielfalt äußerer Erscheinungen. Ihre Malerei zeichnet sich aus durch die Offenheit für die Außenwelt, für die Sprache des Farbmaterials und der Formen. Ihre Bilder entwickeln sich im Malvorgang selbst. Es ist ein immer währender Dialog zwischen inneren Haltung und äußeren Anregungen.

Diese Betonung des prozessualen, agierenden Malvorgangs ist für den Betrachter stets unmittelbar nachvollziehbar. Der Betrachter verfolgt die Linienführungen, wie sich Farbflächen ineinander fügen, helle Farbbänder sich über größere, kompakte Bereiche legen, wie kantige Formen mit runden korresponieren, wie Farbkontraste nebeneinander stehen und sich gegenseitig zum Klingen bringen. Hier bei wird die herausragende Eigenständigkeit der Werke von Waltraut Hilbert nachvollziehbar. Ihre Bildsprache, vor allem ihr sensibler und zugleich kraftvoller, variabler farblicher Ausdruck ist unverwechselbar. Er begründet den Charme sowie die Dynamik ihrer Kunst.

Viele der abstrakten Gemälde von Waltraut Hilbert zeichnen sich durch eine expandierende Räumlichkeit aus, wie wir sie von beeindruckenden Naturerfahrungen her wieder zu kennen glauben. Von der märchenhaften Traumwelt über die Fantasielandschaft bis hin zu kosmischen, spirituellen Räumen reicht die Vielfalt der dargestellten assoziierbaren Sphären. Hierbei geht die Künstlerin virtuos mit den Farbflächen um. Die Bewegungen der häufig transparent bis halbdeckend übereinander gesetzten Malschichten und beispielsweise hellblauen oder türkisen Farbtöne können Ruhe ausstrahlen, sie ermöglichen den Eindruck von Tiefe. Warme Gelb-Orange-Töne durchfluten viele der Bildern mit Licht. Ein kräftiges, dunkles Blau, ein Umbraton oder rotbraune Erdfarben vermitteln Nähe; sie führen den Blick des Betrachters in das Bild hinein. Farben und Formen öffnen die dritte Dimension.

Niemals wird jedoch eine Routine spürbar, die zu einer Wiederholung des immer Gleichen geriete. Beim visuellen Durchwandern der beeindruckenden Farblandschaften erleben wir stets Neues, treffen unverhofft auf überraschende Formen und Farbklänge. Das für die Künstlerin jedes Mal neue Erlebnis des Malvorgangs, der Haltung zur Malerei ermöglicht dies.

Zugleich bleibt spürbar, dass Waltraut Hilbert eine exzellente Zeichnerin ist. Die Wurzeln ihrer Kunst führen häufig zwar zurück zum abstrakten Expressionismus, wobei jedoch viele ihrer Bilder neben den kraftvollen Gesten wesentlich lyrischer, oft labyrinthischer, differenzierter und sensibler und zudem heiter komponiert und zum Teil zeichnerisch durchgestaltet sind.

Die Gemälde von Waltraut Hilbert geben ihrer positiven Grundhaltung zur Welt, ihrer Freude an der Überraschung und am Wagnis Ausdruck. Sie lassen uns Gefühle des Glücks in beeindruckender Präsenz miterleben.

Prof. Dr. Georg Peez Kunstwissenschaftler - Universität Essen/Duisburg



Dr. Andrea Schmidt-Niemeyer über Waltraut Hilbert

Seit die Impressionisten mit ihren lichtdurchfluteten Kompositionen der Farbe einen bis heute faszinierenden Stellenwert verschafft haben, bestimmt verschwenderisches Kolorit immer wieder Gestaltungen von Malerinnen und Malern.

Auch bei Waltraut Hilbert sind Farbbrechungen in den mannigfaltigsten Variationen ein Markenzeichen ihrer Malerei. Anfangs band sie die Farbtöne noch an gegenständliche Motive, erkannte aber dann, dass die „Abstraktion“, das Abrücken vom Inhalt noch eine stärkere Betonung ihrer farblichen Partitur ermöglicht, denn so lenkt keine „Geschichte“ von den Klängen und Akkorden ab, die da mittels Pinselschwüngen und Pigmenten auf der Leinwand festgehalten werden. Im Gegensatz zur Informellen Malerei bleibt sie jedoch nicht bei der malerischen Geste stehen. Jedes einzelne ihrer Bilder ist dazu in der Lage, seelische Erregung auszulösen – vorausgesetzt der Betrachtende öffnet sich den Emotionen, die die Farben in ihm hervorrufen können. Inneres findet Darstellung, nicht Äußeres – ähnlich den nicht fassbaren Traumbildern, die meist Gefühle zurücklassen und nur gelegentlich (wie in Hilberts Kompositionen) Fragmente der Realität.

Aus dem Nichts, in einem für uns nicht greifbaren Zwischenreich, zwischen dem rationalen Hier und Jetzt und einem träumerischen, entfernten Land der Phantasie entstehen ihre Kompositionen. Es besteht keine geplante Darstellungsabsicht, sondern das Werk entsteht in Kommunikation mit dem Gestaltungsmaterial. Überraschendes wird aufgenommen, entwickelt sich weiter. Intuition ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, der zu einer verblüffenden Sicherheit in der Umsetzung führt. Man sieht in ihren Werken Farben nebeneinander platziert, die in dieser Weise eigentlich Dissonanzen erzeugen müssten. Doch durch eine kleine Nuance, die wie ein Katalysator eingeschoben wird, werden solche Unstimmigkeiten vollständig aufgelöst und aus dem scheinbar Unmöglichen entwickelte sich höchste Kunstfertigkeit. Monoton wird einem das Betrachten der Werke nicht, da sich Hilberts Oeuvre durch immer neue, mannigfaltige Blickwinkel auszeichnet. Unterschiedlichste Gestaltungsweisen stehen nebeneinander – vereint allein durch die Vorrangstellung der Farbe und des Lichts.

Da ist z.B. das Gemälde „Surreale Welten III“, in dem sich für ihre Kompositionen ungewohnt kompakte Formen in glühendem Rot zusammenfügen – ähnlich zäh fließender, aber an manchen Stellen bereits erstarrter Lava. Der glühende Hauch des Roten wirkt noch verstärkt durch das frostige Blau, das zwischen dem „Gestein“ einen Blick in das eisige Nichts gewährt. Die dadurch entstehende Tiefenräumlichkeit ist – trotz der Ungegenständlichkeit – in den meisten Gemälden von Waltraut Hilbert vorzufinden, entstehend dadurch, dass sie vom Hintergrund ausgehend ihre malerische Welt aufbaut, Räumlichkeit somit fast wie ein „Nebenprodukt“ anfällt.

So auch in den „Schwebenden Klängen II“. So intensiv in den „Surrealen Welten“ der Betrachter im Bildvordergrund verweilt, so effektvoll wird er hier in die unendlich erscheinende Tiefe hineingezogen – zur Quelle dessen, was sich auf der Leinwand entwickelt. Wie aus der beißenden Kälte der Antarktis entsteigen diesem Raum kleinteilige Zivilisationszeichen, die einem ähnlich fokussierten, winzigen Aufnahmen von Großstädten unserer westlichen Welt erscheinen.

Wie anders geartet wirkt dagegen die Arbeit „O.T.“– nicht kleinteilige, kristalline Formen bestimmen die Komposition, sondern heftige Pinselhiebe, die sich den schillernden, nebulösen Raum erobern. Ähnlich dem vorhergehenden Werk bestimmt der Dialog zwischen hellem, duftigem Hintergrund und farbintensiven Einzelformen, die sich darin behaupten, den Gesamteindruck.

Anders die „Paradiesvögel I“, die im Gesamten eine wesentlich einheitlichere Farbwahl aufweisen. Zarte, leichte Töne überlagern sich, erwecken assoziativ den Eindruck kolibrihafter Schwerelosigkeit. Dabei wechseln sich lasierende, durchscheinende und deckende Elemente ab, durch collagiertes Japan- und Aquarellpapier zusätzlich bereichert, das in seiner Oberflächenbeschaffenheit von der Maltechnik echogleich aufgegriffen wird.

Dieses Experimentieren mit verschiedenen Verfahren kennzeichnet auch das Werk „Farbwelten I“, in dem die Ausführung an Aquarelltechnik erinnert – die Farben fließen regelrecht ineinander, ohne ihre Eigenständigkeit dadurch zu verlieren. Vergleicht man dieses mit dem anfangs erwähnten Bild „Surreale Welten III“ wird einem nochmals die Spannbreite in Waltraut Hilberts Schaffen offensichtlich, das bestimmt ist von einer ständigen Neugierde an dem Unbekannten und der Lust, Neues auszuprobieren.

Einfachheit und Treffsicherheit zeichnen die in dieser Publikation abgebildeten Werke aus – wobei Einfachheit nicht mit Anspruchslosigkeit verwechselt werden darf. Das scheinbar Natürliche und Selbstverständliche gehorcht einer komplizierten Verwebung unterschiedlichster Farbpartikel, die sich immer wieder zu größeren Einheiten zusammenfügen. Klee formulierte einmal, dass er die Kunst parallel zur Natur sehe. Auch Waltraut Hilberts Werke scheinen von diesem Grundgedanken getragen. Nicht Abbilden des bereits Existenten ist entscheidend, sondern dass die Pinselführung, das Auftragen der Farben Gesetzen der Genese gehorcht – doch diesmal nicht der Natur, sondern der Malerei eigenen.

Dr. Andrea Schmidt-Niemeyer, Kunsthistorikerin Freie Mitarbeiterin der Kunstvermittlung, Städtische Kunsthalle Mannheim



Werner Marx über Waltraut Hilbert

In Anlehnung an Gantners Begriff der Präfiguration könnte man bei den Bildern Waltraut Hilberts von einer prämorphen Malerei sprechen, die gekennzeichnet ist durch eine deutlich sichtbare Pinselführung, welche gepaart mit starker Farbigkeit ein Erleben von Unmittelbarkeit erzeugt. Es ist ein steter Wechsel zwischen Aufbau und Zerstörung, das heißt: Formen werden langsam entwickelt, entstehen durch Addition, Kombination, durch automatisches Wachstum, um im nächsten Augenblick fragmentiert zu werden.

Die Bildeinheiten kontrastieren hinsichtlich Farbklang und Farbauftrag, Größe und Struktur der Formen. Richtung und Duktus der Spuren verweigern somit eine Einheitsbildung im Sinne traditioneller Komposition. Dabei hat Waltraut Hilbert eine subtile Variationsbreite entwickelt, die sich zwischen großer räumlicher Breite und äußerst komprimierter Flächenstruktur der Farbe bewegt. Das hört sich zunächst nach Tachismus, nach informeller Malerei an, ist es aber nicht. Die unendliche spontane Freiheit der Geste stößt in den Bildern mit einer inneren Disposition der Künstlerin zusammen - denn bei genauerem Hinsehen erkennt man: so frei wie die Gesten sich gebärden, sind sie nicht. Hilberts Malerei drängt zum Gegenstand. Das so genannte Informel wird also nur als historisches Phänomen geprüft, um es für die eigene, neue Bildaussage zu gebrauchen, das bedeutet: Die Bilder von Pollock, Wols, Sonderborg oder Kirkeby haben einen lebendigen Mehrwert überliefert, den es gilt, fruchtbar zu machen. Die Strategie lautet: Die Herkunft aus einer anderen Kunst als sozusagen offenen Zustand für neue Bilder ästhetisch ausweiten.

Bei dem Berliner Maler Karl Hödicke liest man folgende Standortbestimmung: "Ich bin", sagt Hödicke, "trainierter Tachist", will aber figurative Bilder malen. Was unterscheidet die vielen anderen figurativen Bilder von meinen? Dass sie nicht tachistisch waren. Das neue figurative Bild musste durch den Tachismus durch.

Jeder, der meint, da nicht durch zu müssen, kommt zwangsläufig zur Kontur und färbt sie - das ist, glaube ich, keine Möglichkeit. Es wird eine Farbe angeschlagen und dann auseinander geschoben, bis sich die Figur zeigt. Die Figur kann nicht reingesetzt werden, sie muss aus der Farbe entstehen. Zu dem aus Farbe entstehenden Repertoire Hilberts gehören märchenhafte Traumwelten, Phantasielandschaften, oder kosmisch-spirituelle Räume. Bei all diesen Sujets wird die Farbe getupft, gequetscht und gefurcht, pastos und handwerklich. Mit dieser Malweise fasst sie das Leben, das Fließen, das Flüchtige, den Wechsel und das Zufällige. Man kann von einer Vitalisierung der Materie sprechen; die Belebung des Stoffes wird ein Schönheitsprinzip.

Die Qualität- wörtlich "qualitas", die wie- Beschaffenheit des Stofflichen wird so das eigentliche Thema. Die Stoffliche Qualität - das Rauhe, das Glatte, das Spröde, Poröse, Elastische - prüft der Tastsinn; auch der des Auges. Das wiederum verlangt ein detailliertes Sehen, und dieses hat zur Folge, dass Bilder dieser Art sich erst mit der Zeit Wahrnehmen lassen.

Werner Marx, Kunsthistoriker Freier Mitarbeiter Kunsthalle Mannheim